Churn Prevention

Prevention bzw. Churn Prevention d.h. die Früherkennung drohender Kundenabwanderung und deren Verhinderung kann als die höchste Kunst des Kundenrückgewinnungsmanagements bzw. Churn-Managements gesehen werden.

 

Der Nutzen aus der Kundenabwanderungs Prevention (Churn Prevention) liegt in der Früherkennung der abwanderungsgefährdeten Kunden. Dem Unternehmen bietet sich damit die Chance, die drohende Abwanderung (Churn) rechtzeitig und zu deutlich kostengünstigeren Konditionen als nach der Kündigungsaussprache durch das Churn Prevention (hat nichts zu tun mit fraud prevention) zu verhindern. Die große Problematik im Churn Management liegt derzeit nicht in der Wahl der geeigneten Rückgewinnungs-Maßnahmen, sondern in der frühzeitigen Erkennung und Prevention abwanderungsgefährdeter Kunden. Hier soll deshalb auf die Notwendigkeit der Integration eines Churn Preventions Prozesses im Rahmen des Churn Managements hingewiesen werden. Zur Berechnung von Abwanderungswahrscheinlichkeiten kommen in wissenschaftlichen Studien insbesondere drei verschiedene Verfahren zum Einsatz:

 

  • Traditionelle statistische Verfahren (Markov-Ketten-Ansatz, Hazard-Rate-Modelle)
  • Regelbasierte Systeme (Wenn-Dann-Entscheidungsbäume)
  • Data-Mining-Verfahren (Logistische Regression, Neuronale Netze, Diskriminanzanalyse)

 

Prevention - Traditionelle Statistik:

Im Rahmen des KRM sollen bei der (traditionellen) Statistik verschiedene Hypothesen auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht und mit Hilfe von Statistiksoftware überprüft werden. Bei diesen klassischen Verfahren ist die Beachtung komplizierter und nichtlinearer Beziehungen nur mit Abstrichen möglich. In der Kundenrückgewinnungstheorie werden der Markow-Ketten-Ansatz und die Hazard-Rate-Modelle genannt.

 

Im Konsumgüterbereich wird seit 1974 der Markov-Ketten-Ansatz verwendet. Dort wird mit seiner Hilfe die Marken-Wiederkaufwahrscheinlichkeit bestimmt. Auf die Kündigungsprävention angewendet, ist es das Ziel der Markov-Ketten, die Wahrscheinlichkeit eines Statuswechsels (aus einem Kunden wird ein Nicht-Kunde) zu berechnen.

 

Mit dem Markov-Ketten-Ansatz ist jedoch die Berechnung der Abwanderungswahrscheinlichkeit des gesamten Unternehmenskundenbestandes nicht durchführbar. Des Weiteren sind mit dem MK-Ansatz viele Bedingungen (z.B. identische Wahrscheinlichkeiten beim Übergang in einen neuen Status bei allen Kunden) verbunden, die einem Einsatz als KRM-Frühwarninstrument entgegenstehen. 

 

Ein weiterer Ansatz zur Untersuchung des KR-Prozesses ist das Hazard-Rate-Modell.

Bei diesem handelt es sich um eine Analyse, mit deren Hilfe das Eintreten einer bestimmten Begebenheit (die Abwanderung des Kunden) zeitlich genau bestimmt wird.

In den Wirtschaftswissenschaften wurden mit Hilfe der Hazard-Rate-Modelle z.B. Frage­stellungen in Bezug auf die Dauer bis zum Kauf eines neuen Produktes erforscht.

 

Der Nutzen des Hazard-Rate-Modells ist insbesondere durch den prozessorientierten Erhebungsentwurf gegeben. Damit sind HR-Modelle ausgezeichnet für Analysetätigkeiten geeignet, jedoch als Prevention Werkzeug ( Frühwarnwerkzeug) sind sie nicht geeignet.

 

Prevention - Regelbasierte Systeme:

Die (regelbasierten) Systeme sind aus der Entscheidungstheorie hervorgegangen. Grundlage sind „Wenn-Dann“-Annahmen, die auf der Grundlage von Expertenwissen verwertbar gemacht werden. Bei regelbasierten Systemen muss ein besonderes Interesse an der Festlegung der wichtigsten Frühwarnindikatoren wie Wechselankündigungen, Verringerung der Produktnutzung oder Beschwerden gelegt werden. Die Richtigkeit der Prognose hängt im starken Maße von den festgelegten „Wenn-Dann“-Beziehungen ab.

 

Klarer Vorteil von regelbasierten Systemen ist die sehr gute Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit des Churn Prevention Verfahrens. Weiter ist auch eine grundsätzliche Anwendbarkeit des Churn Prevention Verfahrens auf den gesamten Kundenstamm gegeben. Demgegenüber steht das Problem, dass die Qualität des Prevention Mechanismus (Frühwarnmechanismus) sehr stark von den Expertenannahmen abhängt.

 

Prevention - Data Mining:

Im Rahmen des Data Mining soll mit Hilfe von verschiedenen Datenanalyseverfahren das Frühwarnverfahren komplett automatisiert werden. Diese Automatisierung ist der Kernpunkt, der das Data Mining gegenüber klassischen statistischen Verfahren unterscheidet.

 

Es geht darum, aus vorhandenen Datenstrukturen zu automatischen Hypothesengenerierungen zu gelangen. Data Mining wird insbesondere bei großen Datenmengen herangezogen und kommt bei der Prognose der Abwanderungswahrscheinlichkeit durch Verwendung von logistischen Regressionen, neuronalen Netzen sowie von Diskriminanz-Analysen zum Einsatz.

 

Prevention - Diskriminanz-Analyse:

In den Wirtschaftswissenschaften wird die Diskriminanz-Analyse zur Untersuchung von Gruppen- bzw. Klassenunterschieden verwendet. Mit Hilfe der Diskriminanz-Analyse können die Werte einer abhängigen Variable durch die Werte einer oder mehrerer unabhängiger Variablen erklärt werden. So kann damit z.B. beantwortet werden, ob ein Kunde abwanderungsgefährdet ist oder nicht.

 

Praktisch angewendet wird das Verfahren in der Wirtschaft z.B. bei der Bonitätsüberprüfung des Kunden. Die Vorteile der Diskriminanz-Analyse liegen in der Skalierbarkeit und der Transparenz des Verfahrens. Das Verfahren ist zwar selbstlernend, jedoch an sein Gleichungssystem gebunden und kann sich deshalb nicht an veränderte Umweltbedingungen anpassen. In der Unternehmenspraxis wird jedoch aufgrund fehlender inferenzstatistischer Prüfungen eher auf die logistische Regression zurückgegriffen.

 

Prevention - Logistische Regression:

Die logistische Regression beruht darauf, dass nicht die Wahrscheinlichkeit der Abwanderung, sondern die wichtigsten Einflussfaktoren untersucht werden. Es wird dabei geprüft, welcher Bezug zwischen den unabhängigen Variablen wie z.B. „Kundenzufriedenheit“, „Nutzung von Produkten“ oder „Umsatzrückgängen“ und der dichotomen Variable (Kunde abgewandert, ja oder nein?) besteht.

 

Die logistische Regression kann erstens die unabhängigen Variablen in Bezug auf die Abwanderungsentscheidung bestimmen. Zweitens ist auch die Berechnung der Abwanderungswahrscheinlichkeit möglich (auch wenn sich die Variablen ändern).[9] Die logistische Regression kann zur Erklärung des Abwanderungsverhaltens verschiedenste Kundenmerkmale integrieren und stellt damit nicht unbeträchtliche Anforderungen an die Kundendatenstruktur. Die LR ist in der Anwendung sehr transparent und sehr gut in alle gängigen Statistik-Software-Pakete integriert.

 

Prevention - Neuronale Netze:

Die mit Abstand am komplexesten der dargestellten Data-Mining-Methoden sind die neuronalen Netze. Deren Ziel ist es, aus den jeweils vorliegenden historischen Daten zu lernen. Ein neuronales Netz soll fähig sein zu erkennen, wann (welche Eigenschaften müssen zutreffen?) ein Kunde ein Unternehmen verlassen wird. Als Ergebnis soll das neuronale Netz die gelernten Eigenschaften auf neue Datensätze anwenden. Prinzipiell orientiert man sich dabei an den Vorgängen in (biologischen) Systemen. Die kleinste Einheit ist dabei das Neuron, es soll Informationen von anderen Neuronen verarbeiten oder weiterleiten.

 

Bis dahin ist die Vorgehensweise gegenüber der Regressionsanalyse sehr ähnlich, jedoch werden nur bei neuronalen Netzen die gewonnenen Informationen durch eine (nichtlineare) Aktivierungsfunktion berücksichtigt. Ein neuronales Netz liegt erst vor, sobald sämtliche Neuronen auf der Grundlage von Hierarchien miteinander verkettet sind.

 

Durch den Einsatz von neuronalen Netzen kann eine hohe Vorhersagequalität erreicht werden. Nachteil dieser Methode ist die schlechte Nachvollziehbarkeit. Dementsprechend ist es keine leichte Entscheidung, bezüglich der Erstellung eines Abwanderungsfrühwarnsystems auf neuronale Netze zurückzugreifen oder eine andere Methode zu verwenden. Die Empfehlung des Autors lautet: Der Genauigkeitsgrad des neuronalen Netzes ist entscheidend und überwiegt eine schlechte Nachvollziehbarkeit bei weitem.

 

Prevention - Zusammenfassende Beurteilung der Abwanderungsfrühwarnsysteme:

Grundsätzlich lassen sich die Präventionsverfahren nach den Bausteinen „Umsetzbarkeit“, „Implementierung (Dauer)“, „Objektivität des Verfahrens“, „Betriebsaufwand (laufend)“, „System-Integrationsaufwand“, „Ganzheitlichkeit“ und „Gesamtbewertung“ (Ergebnis aus der Summe der sechs Einzelkriterien) bewerten.

Die Tendenz geht bei den einzelnen Methoden klar in Richtung Data Mining (insbesondere in Richtung der logistischen Regression), da diese es erlauben, große Kundenbestände zu analysieren. Regelbasierte Systeme sind relativ einfach in die Unternehmenspraxis zu integrieren – jedoch hängt die Qualität sehr von den vorgegebenen Algorithmen, also der Qualität des umsetzenden Experten, ab.

 

Churn Prevention Literatur:

[1] Vgl. Michalski (2002), S. 226

[2] Vgl. Wright (1993), S. 253-277

[3] Vgl. Pfeifer / Carraway (2000), S. 43ff.

[4] Vgl. Riekeberg (1995), S. 78

[5] Vgl. Blossfeld (1989), S. 213ff.

[6] Vgl. Chintagunta / Haldar (1998), S. 43ff.

[7] Vgl. Lusti (1999), S. 80ff.

[8] Vgl. Rese (2000), S. 104ff.

[9] Vgl. Michalski (2002), S. 228f.

[10] Vgl. Türling (1999), S. 161-164

[11] Eigene Darstellung